Peter R. Moore
Shakespeare? Oder doch de Vere?
Der lahme Geschichtenerzähler, arm und verachtet

Dieser Artikel behandelt eine Reihe von Funden, die Professor Alan H. Nelson von der University of California, Berkeley, gemacht hat, und zwar im Zuge der Untersuchung und Transkription aller Dokumente, die von oder über Edward de Vere, 17. Graf von Oxford, geschrieben worden sind. Ich danke Professor Nelson für die Erlaubnis, dieses Material benützen zu dürfen.
Zunächst möchte ich zeigen, daß eine Charakterisierung Oxfords aus dem Jahr 1581 sich exakt mit Ben Jonsons bekannter Charakterisierung von Shakespeares Witz deckt, der allzugerne mit ihm durchgegangen sei. Im weiteren wird gezeigt, daß Oxford im späteren Leben lahm war, was Shakespeares Gelähmtsein entspricht, das in den Sonetten 37 und 89 erwähnt wird. Wir werden sehen, daß orthodoxe Forscher die wörtliche Bedeutung von „lahm“ aus einem ganz bestimmten Grund ablehnen, nämlich dem, daß Shakespeare sich selber „arm, lahm und verachtet“ nennt, Attribute, die nicht zu dem passen, was wir über Shakspere aus Stratford wissen. Alle drei Eigenschaften passen allerdings auf Oxford.

1. Ungebärdiger Witz / Runaway Wit

Der erste interessante Fund ist eine Passage aus einer schriftlich festgehaltenen Verleumdung, die Charles Arundel gegen Ende Januar 1581 oder etwas später gegen Oxford losließ. Sie ist überschrieben: „Eine wahrhaftige Erklärung der verabscheuungswürdigen Laster und des unreinen Lebens des Grafen von Oxford.“ (A trew declaracion of the Earell of oxfordes detestabl[e] vices, and vnpure life.) Arundel, der später der hauptsächliche Verfasser der berüchtigtsten Schmähschrift des elisabethanischen Zeitalters sein würde, Leicester’s Commonwealth, war im Dezember 1580 wegen verräterischer Umtriebe unter Arrest gestellt worden und versuchte nun, die Glaubwürdigkeit seines Anklägers, Ox- ford, zu zerstören. Seine „Erklärung“ beschuldigt Oxford fünf verschiedener Sorten von Übel: „schamlose und sinnlose Lügen“, zudem sei er ein „höchst notorischer Trunkenbold“, er „mißbrauche einen Knaben, der sein Koch sei“, er habe auf „verächtlichste Weise Mörder gedungen“, und um „fünftens zu zeigen, daß die Welt noch niemals solch ein verworfenes Ungeheuer hervorgebracht habe, und um ihm zum Abschluß den Gnadenstoß zu versetzen, werde ich gegen ihn Zeugnis ablegen, seine höchst schreckliche und verabscheuenswürdige Blasphemie, indem er die göttliche Natur Christi leugnet…“ (ffiftlie to shewe, that the worell [i.e. world] never browght forthe suche a villonous Monster, and for a partinge blow to geve him his full payment, I will prove against him, his most horrible and detestable blasphemy in deniall of the devinitie of Christ..., nach Professor Nelson, der Public Record Office, SP12/151[45] ff. 100-2 zitiert.)
So wie Arundel dies mitteilt, waren Oxfords schamlose und sinnlose Lügen eigentlich Aufschneidereien über seine Reisen in Flandern, Frankreich und Italien. Eine vorhergegangene Verleumdung Arundels zählte dabei solche Unwahrheiten auf, wie daß die Markuskirche in Venedig mit Diamanten und Rubinen gepflastert sei, während die Frauen der Flickschuster in Mailand jeden Werktag prächtiger gekleidet gingen als selbst die Königin Elisabeth zu Weihnachten. In dem gegenständlichen Schriftstück beschränkt sich Arundel allerdings auf Oxfords Münchhausen-artige Kriegsgeschichten, „wie sie schon bisher den Zuhörern solches Vergnügen bereitet haben“ [„as heretofore they have made much sporte to the hereers“]. Arundel behauptet, Oxford habe erzählt, daß er bei dem berühmten Herzog von Alva in Flandern solchen Eindruck gemacht habe, daß Alva (der tatsächlich bereits ein Jahr früher aus Flandern abgereist war) ihm das Kommando über die gesamten Truppen des spanischen Königs in den Niederlanden übertragen habe, und wo er alsdann solche Wundertaten vollbracht habe, daß sich sein Ruhm bis Italien verbreitete. Als Oxford dann nach Italien kam, habe ihm der Papst eine Armee von 30.000 Mann gegeben, um bei einem Bürgerkrieg in Genua einzuschreiten. Nachdem er diese Dinge referiert hat, scheint Arundel unbewußt aus der Deckung zu kommen und fährt so fort (meine Hervorhebung): „…er ist voll von solchen Lügen und er schwelgt geradezu in ihnen, verschiedene Male hat er sie erzählt, und wenn er einmal anfängt, kann er gar nicht mehr damit aufhören, was so vergnüglich war, daß ich oft vor Lachen vom Tisch aufstehen mußte, und ebenso erging es Lord Charles Howard und den anderen, die ich vorher genannt habe, und zu Beweis nehme ich sie alle zu Zeugen“; unter anderen zählten dazu die Lords Windsor, Compton, Henry und Thomas Howard ebenso wie Walter Raleigh. (this lie is verye rife w[i]t[h] him and in it he glories greatlie, diverslie hathe he told it, and when he enters into it, he can hardlie owte, which hathe made suche sporte as often have I bin driven to rise from his table laugheinge so hath my L[ord] Charles howard [of Effingham], and the rest, whome I namid before and for the profe of this I take them all as wittnises)
Arundel erzählt uns hier ja, daß Oxford ein wunderbar einfallsreicher Geschichtenerzähler war, der der selben Zuhörerschaft immer wieder dieselben Geschichten auftischen und sie damit jedesmal wieder zu Lachstürmen hinreißen konnte. In der zitierten Passage „und wenn er einmal hineinkommt, kann er gar nicht mehr damit aufhören“ allerdings beschreibt Arundel eine spezielle persönliche Eigenschaft, die Ben Jonson ebenso in seiner Charakterisierung Shakespeares hervorhebt. Der Bemerkung, die Schauspieler hätten an Shakespeare gerühmt, daß er niemals eine Zeile strich, fügt Jonson hinzu, er hätte besser tausend gestrichen, was bedeutet, er habe sich leicht von seinem eigenen Witz mitreißen lassen und nicht gewußt, wann er aufhören sollte. Jonson führt aus: „Er war in der Tat ehrlich, und von offener und freigebiger Natur: hatte eine ausgezeichnete Phantasie, wackere Ansichten und vornehme Sprache; worin er mit einer Leichtigkeit dahinfloß, daß es manchmal nötig war, ihn zu stoppen: Sufflaminandus erat, [man hätte ihm das Maul stopfen sollen], wie Augustus von Haterius sagte. Er hatte seinen Witz in der Gewalt, wäre es doch mit dem Kommando darüber ebenso gewesen. Viele Male ist es ihm passiert; er konnte dem Gelächter nicht entgehen.“ (Hee was (indeed) honest, and of an open, and free nature: had an excellent Phantasie brave notions, and gentle expressions; wherein hee flow’d with that facility, that sometime it was necessary he should be stop’d: Sufflaminandus erat [i.e., he needed a brake] as Augustus said of Haterius. His wit was in his owne power; would the rule of it had beene so too. Many times hee fell into those things, could not escape laughter: Herford & Simpson, 8, 583-4)
Jonson beschreibt also hier ein Charakteristikum, das mit dem identisch ist, was Arundel über Oxford sagt – sein Witz, oder Geist hatte die Tendenz, mit ihm durchzugehen. Wir sollten auch die Emphase beachten, mit der diese Kommentare gemacht werden. Sie weist darauf hin, daß es sich um eine hervorstechende Eigenschaft des in Frage Stehenden handelt. Arundel etwa bringt einen reich orchestrierten Schwall von Verleumdungen vor, getrieben von Rachegefühlen und natürlich, um Oxfords Anklage gegen ihn zu diskreditieren. Dann aber schwächt er die Kraft seiner eigenen Anschuldigung, indem er Oxfords Erzähltalent so beschreibt, als könne er einfach nicht über diese Eigenschaft Oxfords hinwegkommen. Ironischerweise begeht Jonson denselben Fehler, den er an Shakespeare kritisiert; er kann sich von seiner Idee nicht lösen, bevor er sie nicht auf vier verschiedene Arten ausgedrückt hat: „wherein he flowed... Sufflaminandus erat... His wit was in his owne power... Many times hee fell...“

2. Lahm

Oxfords Briefen zwischen 1590 und 1603 können wir entnehmen, daß er nicht in der Lage war, außer Haus zu gehen, und zwar aufgrund schlechten Gesundheitszustandes oder eines Gebrechens. Die Briefe sind jene vom September 1590 (Fowler, 378), März 1595 (Salisbury, 5, 158), August 1595 (Fowler, 496), September 1597 (Fowler, 524), Oktober 1601 (Fowler, 593), und April 1603 (Fowler, 739). Allerdings sagt er nichts Näheres über die Art seiner Beschwerden. Doch in einem Brief an seinen Schwiegervater, Lord Burghley, datiert vom 25. März 1595, schreibt Oxford: „Ich werde Eurer Lordship in Eurem Hause die Aufwartung machen, so gut es einem lahmen Manne möglich ist“ („I will attend yowre Lordship as well as a lame man may at yowre house“. Auszug in Salisbury, 5, 154; hier zitiert nach Professor Nelson).
Am 27. November 1601 schreibt Oxford seinem Schwager Robert Cecil und endet den Brief so: „in der Hoffnung, Ihr werdet meine lahme Hand hinnehmen, verbleibe ich“ („thus desyring yow to beare w[i]th the weaknes of my lame hand, I take my leaue“, Fowler, 607; hier zitiert nach Professor Nelson). Im Januar 1602 schreibt er wiederum an Cecil, „und so, mit einer lahmen Hand schreibend, verbleibe ich“ („thus wythe a lame hand, to wright I take my leue“, Fowler, 653).
Shakespeares Sonett 37 enthält diese Zeilen:
So gibt mir, lahm durch Schicksals tiefsten Groll, […]
So bin ich nicht verschmäht noch arm noch matt
(So I, made lame by Fortune’s dearest spite,
So then I am not poor, lame, nor despised,
deutsch von Stefan George)
Sonett 89 nimmt dieses Thema auf:
„Sprich, daß ich lahm, gleich hink’ ich durch die Gassen …“
(Speak of my lameness, and I straight will halt, deutsch von Ludwig Fulda; man beachte die Schwierigkeit der Übersetzer mit der wörtlichen Bedeutung, Anm. d. Übers.)
Neuere Herausgeber der Sonette bestehen darauf, daß die offensichtliche Schlußfolgerung, der Dichter müsse buchstäblich lahm gewesen sein, unmöglich zutreffen kann, aber sie machen sich keine Mühe, dem Leser irgendwelche Argumente zu geben, um ihre Auffassung zu stützen. Die Ausgabe von W. G. Ingram und Theodore Redpath von 1964 beginnt die Anmerkungen zu Sonett 37, indem die Annahme verspottet wird, der lahme Dichter könne irgendwer anderer sein als der Schauspieler aus Stratford, und macht sich daran zu erklären, daß das Wort „lahm“ im übertragenen Sinn zu verstehen sei. Ingram und Redpath gehen davon aus, daß die Existenz einer übertragenen Bedeutung die Möglichkeit einer buchstäblichen ausschließt. Die Ausgabe von John Kerrigan 1986 argumentiert ebenso.
Die Ausgabe von Stephen Booth 1978 übertrifft alle anderen im Auffinden einer absurd großen Zahl von Mehrfachbedeutungen bei Shakespeares Vokabular. Nach Kerrigans Formulierung arbeitet Booth „nach dem Prinzip, daß jede nur mögliche Bedeutung signifikant ist“ (65). Doch als er zu den Sonetten 37 und 89 kommt, will Booth für „lahm“ nur eine Bedeutung zulassen – der Dichter entschuldigt sich für sein schlechtes Versmaß. Booth führt fünf Beispiele von Dichtern an, die „lahm“, „lahmend“ oder „stockend“ zur Bezeichnung schlechten Versmaßes verwenden, Beispiele allerdings, die Booths Interpretation von Shakespeares Worten vollständig widerlegen. Um ein sechstes Beispiel hinzuzufügen, sei hier der Anfang von John Donnes Gedicht „To Mr. T. W.“ zitiert: „Eile, roher Vers, so rasch dein lahmes Maß dich läßt.“ (Haste thee harsh verse as fast as thy lame measure/Will give thee leave.) Ebenso wie bei Donne bezieht sich bei allen fünf von Booths Beispielen das Attribut „lahm/lahmend/stockend“ auf des Dichters Vers, nicht auf den Dichter selbst. In keinem Fall schreibt der Dichter „ich bin lahm“ und erwartet vom Leser, darin eine Entschuldigung für schlechtes Versmaß zu erblicken. Es ist natürlich klar, daß Wörter sowohl direkte als auch übertragene Bedeutungen haben können, ebenso wie besondere Bedeutungen innerhalb der dichterischen Konvention. Doch sind weder Ingram und Redpath noch Booth oder Kerrigan in der Lage, uns einen vernünftigen Grund anzugeben, wieso wir Shakespeare hier nicht wörtlich zu verstehen haben sollen. Ältere Herausgeber der Sonette zeigten mehr Respekt für die Intelligenz ihrer Leser. Die New Variorum Edition von Hyder Rollins 1944 bringt in ihren Anmerkungen zu Sonett 37 folgendes Zitat aus Edmund Malones Ausgabe von 1790: „Soll man dies wörtlich verstehen, müssen wir folglich annehmen, daß … [Shakespeare] auch arm und verachtet war, und für keine dieser Annahmen gibt es das mindeste Anzeichen. (If the words are to be understood literally, we must then suppose that... [Shakespeare] was also poor and despised, for neither of which suppositions there is the smallest ground.)
Rollins argumentiert in bezug auf Zeile 9 des Sonetts 37 gleich: „Wenn man bei den Tatsachen bleibt, so kann Shakespeare, selbst wenn er lahm war, nicht arm gewesen sein, denn er besaß Juwelen, die er (Sonett 48, 1-5) während seiner Abwesenheit aus London in einer Art Schließfach verwahrte.“ (Literalists might note that, even if he was lame, Sh. could not have been poore, for he had jewels which ([Sonnet] 48.1-5), during his absences from London, he put in a sort of safe-deposit vault.)
Das ist Hausverstand. Malone und Rollins sagen uns, daß der Autor der Sonette 37 und 89 nicht zu dem paßt, was wir von William Shakspere aus Stratford wissen, der es aus bescheidenen Anfängen zu Wohlstand brachte, und von dem man kaum sagen konnte, er sei arm gewesen, wenn er wertvolle Juwelen besaß, wie in Sonett 48 angedeutet. Doch paßt der Autor dieser Sonette gewiß zum Grafen von Oxford, der niemals in wirklicher Armut lebte, doch für einen Grafen schändlich arm war.

3. Arm und verachtet

Aufgrund extravaganter Gewohnheiten und unglücklicher finanzieller Spekulationen war Oxford gezwungen, bis 1585 den Großteil seiner ererbten Ländereien zu verkaufen (Ward, 353). 1586 gewährte ihm die Königin eine jährliche Rente von 1000 Pfund, die ausgezahlt werden sollte „bis Wir für ihn anderweitig sorgen, auf daß ihm auf irgend eine Weise geholfen sei“ (until such time as he shall be by Us otherwise provided for to be in some manner relieved, Ward, 257). Nach Oxfords Tod 1604 erhielten seine Witwe und sein Sohn eine wesentlich kleinere Rente von König Jakob. Sie ersuchte die jährliche Zuwendung auf 500 Pfund zu erhöhen und schrieb: „Die Rente wurde meinem Lord von der verewigten Königin nicht auf Lebenszeit verliehen, um dann zu enden, sondern sollte fortgesetzt werden, bis die Königin seiner Misere durch bessere Mittel begegnen würde.“ (The pension of 1,000 pounds was not given by the late Queen to my Lord for his life and then to determine [i.e., cease], but to continue until the Queen might raise his estate by some better provision. Salisbury, 16, 258) An anderer Stelle in diesem Brief erwähnt sie ihr „ruiniertes Vermögen … desolate Vermögensverhältnisse … große Not … erbarmungswürdige Verhältnisse“ (ruined estate…, desolate estate… greate distresse… miserable estate“; nach Matus, 261).
Um dieselbe Zeit hatte Jakob einen hochverschuldeten Baron abzuwimmeln, der den Eindruck hatte, eine Unterstützung von 1000 Pfund im Jahr sei zu gering. Der König bemerkte, „der große Oxford bekam, als sein Vermögen gänzlich aufgebraucht war, auch nicht mehr von der verewigten Königin“ (Great Oxford when his [e]state was whole ruined got no more of the late Queen“, Salisbury, 16, 397).
Einige Zeit nach Oxfords Tod machte Sir Georg Buc(k), Master of the Revels, eine Notiz über Oxfords Größe, Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, und fügte hinzu, daß nach dem, was er in der Jugend versprach, Oxford „eher danach aussah, als würde er ein neues Adelshaus begründen als ein altes in den Ruin zu führen und zu verlieren“ („much more like to raise…, a new earldom, than to decay… waste & lose an old earldom“, Miller, 394). Wir wissen also, daß Oxford sowohl arm als auch lahm war, und wir wissen, daß er demzufolge verachtet wurde. Als Königin Elisabeth im Sterben lag, versuchte der Graf von Lincoln Oxford zur Teilnahme an irgendeiner Art von Oppositionsbewegung gegen König Jakob zu gewinnen. Sir John Peyton, Lieutenant des Londoner Tower, deckte Lincolns Umtriebe auf, meldete sie aber nicht weiter. Peyton entschuldigte diese Pflichtvergessenheit damit, daß er die Sache ernst genommen habe, bis er entdeckte, daß Lincolns angeblicher Komplize Oxford war, über den er folgendes Urteil abgab (meine Hervorhebung): „Ich wußte ihn so körperlich schwach, ohne Freunde oder Fähigkeiten oder irgendwelche Mittel, Aufruhr im Staate zu stiften, daß ich niemals befürchtete, von so schwachen Grundlagen würde eine Gefahr ausgehen.“ (I knewe him to be so weake in boddy, in friends, in habylytie, and all other means to rayse any combustyon in the state, as I never feered any danger to proseyd from so feeble a fowndation. O’Conor, 107) Peytons Worte verdienen eine nähere Betrachtung. Er nennt Oxford körperlich schwach, ein Bezug auf das Gebrechen, das in Oxfords Briefen erwähnt wird und das ihn selbst veranlaßte, sich als „lahm“ zu beschreiben. Peyton bemerkt als nächstes, Oxford habe keine Freunde, was auch besagen kann, er sei verachtet worden (OED). Dann sagt Peyton, daß Oxford die Fähigkeit abging, Aufruhr im Staate auszulösen, was im Kontext eines geplanten Aufstandes heißen dürfte (OED, Definition 4 für „ability“): „finanzielle Macht, Reichtum, Vermögen, Mittel“. In anderen Worten sagt Peyton, daß Oxford arm war.
Shakespeare klagt in den Sonetten auch mehrfach, er sei alt, was auf Oxford zutreffen würde. Shakespeare sagt, seine Karriere habe ihm Schande und Ungnade gebracht aufgrund seiner Verbindung mit dem öffentlichen Theater (Sonette 110, 111) und mit der Literatur (Sonett 72). Derartige Aktivitäten hätten über Shakspere aus Stratford schwerlich Schande bringen können. Shakespeare bezieht sich in mehreren Sonetten auf das Leben bei Hofe (besonders in Sonett 125). Er kritisiert mehrfach scharf den vornehmen Freund, an den die ersten 126 Sonette gerichtet sind, etwas, das Dichter von bürgerlicher Herkunft mit ihren Gönnern damals nicht taten. Als die Sonette 1609 gedruckt wurden, bezeichnete die Widmung des Herausgebers den Dichter überdies als „OVR.EVER.LIVING.POET“, was unzweideutig sagen will, daß er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lebte (vgl. Anmerkungen). Oxford starb 1604, Shakspere 1616. Abschließend kann man bemerken: Wenn wir Ben Jonsons Beschreibung von Shakespeares ungebärdigem Witz mit dem vergleichen wollen, was wir von dem Phantom aus Stratford-on- Avon wissen, kommt nichts dabei heraus. Andererseits paßt die Beschreibung exakt auf das, was Charles Arundel über den Grafen von Oxford sagte.
Wenn wir Shakespeares Worte in den Sonetten 37 und 89 mit dem vergleichen, was wir über den wohlhabenden Bürger von Stratford wissen, gibt das ein derartiges Mißverhältnis, daß orthodoxe Forscher nur zwei Möglichkeiten haben: Entweder verbiegen sie den Sinn der Shakespeareschen Worte zu etwas, was kein vernünftiger Leser akzeptieren wird, oder aber (wie Malone oder Rollins) sie sagen, daß Shakespeares autobiographische Äußerungen nicht auf Shakspere aus Stratford passen. Letztere Erklärung können wir gut akzeptieren, besonders wenn wir entdecken, daß der Graf von Oxford „arm, lahm und verachtet“ war. Überdies deutet der Verfasser der Sonette an, daß er alt ist, daß ihm seine literarische und Theatertätigkeit nur Schande gebracht hat, und daß er ein Höfling von solchem Rang ist, daß es ihm zusteht, seinen adligen Freund zu bekritteln; und sein Herausgeber sagt uns, daß er im Jahr 1609 bereits gestorben war.
Sowohl Oxford als auch der Autor Shakespeare waren hervorragende, einfallsreiche Geschichtenerzähler, besaßen außergewöhnlichen Witz, und sie waren arm, lahm und verachtet. Außerdem paßt Oxford zu dem Autor von Shakespeares Sonetten in einer Reihe anderer Punkte, während der Stratforder diesen nicht entspricht. Die Chancen, daß eine solche Ähnlichkeit reinem Zufall entspringt, sind äußerst gering.